Autorin: Clara Dupont-Monod
Aus dem Französischen von Sonja Finck
Buchbeschreibung kurz & knapp zusammengefasst
In einem Bergdorf in den Cevennen wird eines Tages ein unangepasstes Kind geboren, ein Brüderchen, das dritte Kind einer jungen Familie.
„Unangepasst“ hingegen benennt die Tatsache, dass das Kind nicht nach gängigen Maßstäben funktionierte (eine Hand ist zum Greifen da, die Beine zum Laufen), dass es in vielerlei Hinsicht außen vor war, aber trotzdem am Leben teilhatte, wie ein Schatten in der Ecke des Gemäldes, der nicht so ganz dazuzugehören scheint, obwohl der Künstler ihn absichtlich dorthin gemalt hat.
Es ist schwierig zu beschreiben, was es für eine Familie bedeutet, ein besonderes Kind zu haben. Diese Geschichte erzählt und berichtet, wie die Kinder der Familie mit dieser Besonderheit zurechtkommen und mit ihr leben müssen. Sie werden ein Parallelleben aufbauen, eines für die Familie und eines für außerhalb. Und während der Ältere sich aufopferungsvoll um seinen kleinen Brüder kümmert, wird die Schwester dem Kleinen die Schuld geben, ihr den großen Bruder genommen zu haben.
Seit diesem Tag herrschte das Kind.
Jeder lebt sein Leben, bis der Moment kommt, an dem klar wird, dass die Familie in Gefahr ist. Die Schwester spürt, dass es an der Zeit ist zu kämpfen.
Meine persönlichen Leseeindrücke
Brüderchen ist ein ganz außergewöhnliches Buch. Es erzählt von einer intensiven Geschwisterliebe, von extremer Zuneigung und starker Ablehnung, von körperlichem Entzug, Wut und schlechtem Gewissen.
Er zog alle Energie auf sich. Die ihrer Eltern und die ihres Bruders. Die Eltern kämpften, der Bruder verschmolz. Für sie selbst blieb nichts übrig, keine Kraft, die sie hätte tragen können.
Faszinierend ist wie die Autorin die psychologische Seite der Geschwister tiefgründig und gleichzeitig überaus menschlich darstellt. Jedes Kind verkörpert ein Gefühl, wie man es in so einem Fall fühlen könnte. Und damit bietet sie dem Leser die Möglichkeit ein Auge auf die Geschwister zu werfen, die mit diesem Kind, dem es schlecht geht, zusammenleben. Dass sie den Steinen im Hof die Erzählerrolle zuteilt, finde ich eine geniale Idee. Sie stehen auf der Seite der Kinder, auch des Nachgeborenen, das vollkommen unerwartet in die Familie kommt und mit sich den Geist seines verstorbenen Bruders trägt.
Das Neugeborene ging nicht allein durchs Leben, das wusste er. Seit seiner Geburt trug er einen Toten mit sich herum, dessen Schatten sein Leben säumte.
Und so ist das die Geschichte einer Familie mit vier Kindern, jedes mit seinem ganz eigenen Charakter: ein Versehrter, eine Aufmüpfige, ein Unangepasster und ein Zauberer. Es überwiegt dabei ein unendliches Zartgefühl und obwohl der Stoff doch eigentlich ernst oder gar bedrückend scheinen mag, bestimmt hier nur die Einfühlungskraft der Romanfiguren.
In einem Interview hat Clara Dupont-Monod erklärt, dass die Geschichte einen autobiografischen Hintergrund hat. Die Autorin hatte selbst einen kleinen Bruder, der mit einer Behinderung zur Welt kam.
Fazit
„Brüderchen“ von Clara Dupont-Monod ist die Erzählung von 4 Kindern: eines Versehrten, einer Aufmüpfigen, eines Unangepassten und eines Zauberers, die in einem Bergdorf in den Cevennen aufwachsen. Es ist die Geschichte einer Familie, die am Unangepassten fast zerbricht, doch der die Zeit durch den Nachgeborenen, den Zauberer, Verbundenheit und Zuversicht zurückgibt.

>Lesen< und >leben< trennt nur ein Buchstabe. Wenn du nicht mehr liest, nimmst du nicht mehr am Leben teil.
Die Autorin
Clara Dupont-Monod, geboren 1973 in Paris, ist Schriftstellerin und Journalistin. Sie war u.a. für die Radiosender France Culture und Canal+ tätig, bevor sie 2011 zu France Inter wechselte. Dort hat sie seit vielen Jahren eine eigene Literatursendung. Mit „Brüderchen“ veröffentlichte sie ihren bisher persönlichsten Roman, der über Monate auf den französischen Bestsellerlisten stand. Neben dem Prix Femina erhielt Dupont-Monod für „Brüderchen“ den Prix Goncourt des Lycéens.
Die Übersetzerin
Sonja Finck ist 44 Jahre alt, aufgewachsen zwischen Ruhrgebiet und holländischer Grenze, heute lebt sie die Hälfte der Zeit mit ihrer Frau, einer Dolmetscherin, in Gatineau in der Provinz Québec, die andere Hälfte in einer seit vielen Jahren in selber Besetzung bestehenden Siebener-WG in Berlin am Schlesischen Tor. Sie ist die Übersetzerin von Annie Erneaux. Wenn Sie mehr über Sonja Finck erfahren möchten, besuchen Sie einfach ihre Website. Einen berührenden Artikel über die besondere Verbindung zur Nobelpreisträgerin finden Sie hier.
Bibliographische Daten (Stand April 2023 – Piper Verlag)
- TITEL: Brüderchen
- AUTORIN: Clara Dupont-Monod
- ÜBERSTETZUNG: Sonja Finck
- GENRE: Roman
- VERLAG: Piper Verlag
- UMFANG: 176 Seiten
- ERSCHEINUNGSDATUM: 30. März 2023
- ISBN-13: 978 3 4920 7175 8
Die französische Literatur hat mir schon viele wunderbare Lesestunden geschenkt. Ein besonderes Highlight 2022 war der Roman Opus 77 von Alexis Ragougneau.
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