Autorin: Giulia Caminito
Aus dem Italienischen von Barbara Kleiner
Buchbeschreibung kurz & knapp zusammengefasst
In ihrem Roman „Das Wasser des Sees ist niemals süß“ erzählt Giulia Caminito von Gaias schwierigem Prozess erwachsen zu werden.
Antonia hat vier Kinder und einen Mann, der nach einem schweren Arbeitsunfall im Rollstuhl sitzt. Seit Jahren kämpft sie um eine Sozialwohnung, denn wo sie jetzt sind, in einem einzigen Kellerraum, wo die Zwillinge in Karton schlagen, hält sie es nicht mehr aus. Sie schuftet Tag und Nacht um das Essen auf den Tisch zu bringen und führ ein strenges Regiment, einer mütterlichen Zuneigung unfähig.
Meine Mutter knallt die Gabel auf den Teller, hält das Messer aber fest in der Hand, sie verwendet es als Taktstock, sie ist die Dirigentin des Orchesters, sie dirigiert ihre schlechte Laune, die Symphonie ihrer Wut.
Das sind die Rahmenbedingungen, unter denen Gaia aufwächst. Angetrieben vom mütterlichen Ehrgeiz entwickelt sie sich zu einer Musterschülerin, doch ihr emotionales Gefühlsrepertoir entwickelt sich nur in eine Richtung.
… aber ich bin überwältigt von der Erkenntnis, dass niemand hier drinnen sich die Mühe gemacht hat, zu verstehen, was angebracht gewesen wäre und was nicht, dass niemand darüber nachgedacht hat, was ich eigentlich will, jeder hat seine Rolle gespielt, getreu dem Drehbuch für achtzehnte Geburtstage, voll von guten Vorsätzen, Abschieden von der Jugend und erneuerten Versprechen.
Meine persönlichen Leseeindrücke
Mit dem Ende des Romans „Das Wasser des Sees ist niemals süß“ kam in mir eine Irritation auf, die ich auch nach einigen Tagen nicht abschütteln konnte. Dieses Mal schreibe ich meine Leseeindrücke nicht sofort, sondern lasse einige Tage verstreichen. Ich fange sogar an, ein anderes Buch zu lesen, so verwirrt sind meine Gedanken, wenn ich an die Hauptromanfigur Gaia denke. Schon während der Lektüre konnte ich mit der Ich-Erzählerin wenig anfangen, irgendwann schlug es in Ablehnung um, denn ich kann das Kriminelle weder verstehen noch irgendwie mit ihrer familiären Situation begreifen, akzeptieren oder auch nur ansatzweise erklären. Also – was soll das Ganze?
… da ist ein Wesen in mir, ein wütendes, niederträchtiges, das keine Selbstbeherrschung mehr erträgt.
Gaia wächst in armen Verhältnissen auf. Die familiäre Situation ist prekär, die Mutter hat das Kommando übernommen, der Vater spielt keine Rolle. In diesem Umfeld gelingt ihr eine emotionale Verbindung nur zu ihrem älteren Bruder Mariano. Schon früh fallen psychischen Probleme auf, von allen ignoriert außer vielleicht von Mariano und Cristiano, einem Freund, der erst mit dem Umzug an den Lago di Bracciano, in ihr Leben tritt. Spätestens als die Italienischlehrerin die Auffälligkeiten an Gaias Aufsatz entdeckt, hätte der staatliche psychologische Dienst eingreifen müssen, denn es ist offensichtlich, dass mit dem Mädchen etwas nicht stimmt.
Die Frustration meines Vaters tritt in der Art zutage, wie er sich gegen die Räder seines Rollstuhls stemmt, in dem Wissen, dass er nicht aufstehen und eingreifen kann: Wehrlos sieht er zu, wie meine Mutter entscheidet.
Ihre negative Grundeinstellung, die schon manische Lernerei, die vollkommen absurde Studienwahl, ihre Gewaltbereitschaft und die psychischen Probleme, wenn auch in Giulia Caminitos realistischer Darstellungsfähigkeit durchaus markant beschrieben, können mich weder einfangen noch zu Mitgefühl anregen. Ich lehne die allgemeine Ansicht, dass die Abstammung oder die Lebensumstände in der sozialen Randgesellschaft verantwortlich für auffälliges Verhalten oder sogar die Wiege für Kriminelle seien, klar ab.
Gaias Intelligenz, die in ihrem erfolgreichen Abschluss der universitären Laufbahn gipfelt, steht im krassen Unterschied zu ihrem Wesen. Hat sie von ihrem Philosophie-Studium denn gar nichts mitnehmen können? Gerade sie hätte alle Voraussetzungen mitgebracht dieses Vorurteil zu brechen. Es geht hier viel weniger um einen Einblick in die italienische politisch geprägte Gesellschaft als um einen jungen Menschen, der im Leben nicht zurechtkommt und abdriftet.
Wir haben keine Handys, haben keinen Fernseher, keinen Computer, wir haben keine Kommunikationsmittel, sind eingeschlossen in die Vergangenheit einer Welt, die im Galopp dahineilt, uns überholt, uns unter ihren harten Hufen zermalmt.
Soziale Herkunft ist ein immer aktuelles Thema. Wenngleich „Das Wasser des Sees ist niemals süß“ sich in die Reihe von Romanen des neuen italienischen literarischen Sozialrealismus einordnet, kann er doch literarisch Arminuta nicht das Wasser reichen.
Fazit
Der preisgekrönte Roman „Das Wasser des Sees ist niemals süß“ von Giulia Caminito ist ein wütendes Zeugnis einer jungen Frau, der es unmöglich scheint ihr eigenes Leben in Griff zu bekommen. Trotz Giulia Caminitos realistischer Darstellungsfähigkeit, konnte der Roman mich wenig überzeugen.

So bist du also, wenn’s schwierig wird, gibst du auf.
Die Autorin
Giulia Caminito, 1988 in Rom geboren, ist in Anguillara Sabazia am Lago di Bracciano aufgewachsen. Sie hat politische Philosophie studiert und drei Romane verfasst, darunter der 2020 bei Wagenbach erschienene »Ein Tag wird kommen«. Ihr dritter Roman »Das Wasser des Sees ist niemals süß« stand 2021 auf der Shortlist des Premio Strega, gewann den alternativen Premio Strega Off und den renommierten Publikumspreis Premio Campiello. Der Roman wird in über zwanzig Sprachen übersetzt. Caminito arbeitet als Herausgeberin und Lektorin, sie lebt in Rom. Quelle: Karl Wagenbach Verlag
Die Übersetzerin
Barbara Kleiner, geboren 1952, lebt in München. Übersetzerin u.a. von Primo Levi, Ippolito Nievo, Italo Svevo, Paolo Giordano, Davide Longo; ausgezeichnet mit dem Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW, dem Deutsch–Italienischen Übersetzerpreis und dem Johann-Heinrich-Voß-Preis für Übersetzung.
Bibliographische Daten (Stand Januar 2023- – Verlag Karl Wagenbach)
- TITEL: Das Wasser des Sees ist niemals süß
- AUTORIN: Giulia Caminito
- Übersetzung: Barbara Kleiner
- GENRE: Roman
- VERLAG: Verlag Klaus Wagenbach
- UMFANG: 320 Seiten
- ERSCHEINUNGSDATUM: 18. August 2022
- ISBN-13: 978 3 8031 3349 6
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