Autor: Mohamed Mbougar Sarr
Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller
Buchbesprechung kurz & knapp zusammengefasst
Es ist mir nicht möglich, mit eigenen Worten die Geschichte des Romans „Die geheimste Erinnerung der Menschen“ verständlich wiederzugeben. Deshalb übernehme ich vollinhaltlich den Klappentext.
Diégane Latyr Faye lebt in Paris und sollte eigentlich an seiner Doktorarbeit schreiben. Doch stattdessen träumt er vom großen Durchbruch als Autor und philosophiert in rauschhaften Nächten mit seinen Freunden über Literatur, über ihre Hoffnungen und ihr Begehren.
„Natürlich kann es vorkommen, dass das bourgeoise Frankreich für sein gutes Gewissen einen von euch krönt, und bisweilen trifft man auf einen Afrikaner, der Erfolg hat oder zum Vorbild erhoben wird. Doch glaub mir, was auch immer eure Werke wert sein mögen, ihr seid und bleibt Fremde.“
Bis die Zufallsbekanntschaft mit der ebenso faszinierenden wie enigmatischen Autorin Siga D. für Diégane zum Wendepunkt seines Lebens wird. Sie übergibt ihm ein legendäres Buch, Das Labyrinth des Unmenschlichen, das bei seinem Erscheinen 1938 die literarische Welt erschütterte.
Seit einigen Tagen hört man, das nunmehr berühmte Labyrinth des Unmenschlichen von Monsieur Elimane, erschienen bei den Editions Gemini, sei ein Abbild der afrikanischen Kultur.
Der Verfasser T.C. Elimane wurde seinerzeit als „schwarzer Rimbeaud“ gefeiert, aber auch rassistisch angefeindet und des Plagiats beschuldigt. Das Werk wurde vernichtet, der Autor verschwand. Diégane weiß nur eines: Er muss Elimane finden.
„Die geheimste Erinnerung“ der Menschen ist eine soghafte Kriminalgeschichte und zugleich eine radikal aktuelle Auseinandersetzung mit dem Erbe des Kolonialismus.
Meine persönlichen Leseeindrücke
„Die geheimste Erinnerung der Menschen“ ist der mit Abstand eigenartigste und gleichzeitig einzigartigste Roman, den ich in den Jahren, seitdem ich meinen Blog betreibe, gelesen habe. Die Großartigkeit liegt für mich in der subtilen Kraft, die von diesem Roman ausgeht. Es ist wie eine Fährte, die der Leser, der sie zu erkennen glaubt, aufnimmt und gleichzeitig der Auftakt zu einem Alptraum.
Der Roman „Die geheimste Erinnerung der Menschen“ ist eine teils atemberaubende Erzählung, verfasst in unterschiedlichsten Textsorten, brillant verwoben mit Mythen und geschichtlichen Ereignissen, die mich zumindest ab der 2. Hälfte fesseln und nicht mehr loslassen. Die Suche nach Elimane, dem Verfasser des Buches „Das Labyrinth des Unmenschlichen“ ist so unglaublich vielseitig, kontrolliert ausufernd in Handlung und Protagonisten und es stellt sich, sobald sich afrikanische magische Kräfte einschleichen, ein Gefühl ein, dass ich mit mulmiger Gefühlsaufwallung weiterlese.
Plötzlich hielt ich Elimane für egoistisch, beinahe feige. Ihm lag weder an Liebe noch Freundschaft. Ihm lag nur an seinen Geheimnissen.
Aber es ist nicht nur das. Es geht auch darum wie die afrikanische Literatur in Frankreich anerkannt ist, wie sichtbar die Autoren sind und wieviel Rassismus es im Literaturbetrieb gibt. Mehr als einmal bin ich unsicher, ob ich das Erzählte richtig verstehe. Von diesem Buch geht eine Zauber und eine Anziehungskraft aus, der ich mich nur schwer widersetzen kann. Geschickt eingefügt und meisterhaft inszenierte magische Geschichten ziehen mich in den Bann und die weniger ansprechenden Zwischenpassagen sind schnell vergessen.
Der Roman „Die geheimste Erinnerung der Menschen“ fügt die einzelnen Stücke langsam zusammen und erst am Ende kann ich ein Gesamtbild erkennen, obwohl ich nicht glaube, den Roman in seiner Gesamtheit verstanden zu haben.
Fazit
„Die geheimste Erinnerung der Menschen“ ist eine Art Kriminalroman, in der man durch den Nebel einer literarischen Ermittlung, in der ein Autor spurlos verschwunden war, tastet.
Formal grandios. Durchweg fordernd, teilweise auch überfordernd. (Kaelle Lovelybooks)
Ich habe den Roman aufrichtig gelesen und nehme das mit, was ich glaube, Mohamed Mbougar Sarr mir mitteilen wollte.

Der Autor
Mohamed Mbougar Sarr, geboren 1990 in Dakar, wuchs im Senegal auf und studierte in Frankreich Literatur und Philosophie. Er ist einer der jüngsten Gewinner in der Geschichte des französischen Literaturpreises Prix Goncourt: Der senegalesische Autor Mohamed Mbougar Sarr war 31, als er die Jury 2021 mit seinem Roman „La plus secrète mémoire des hommes“ überzeugte, einer Mischung aus Satire auf den Literaturbetrieb und Krimi über die Suche nach einem verschwundenen Autor.
Die Übersetzer
Holger Fock, geb. 1958 in Ludwigsburg, studierte Theaterwissenschaft, Germanistik und Philosophie und übersetzt seit 1983 französische Literatur u. a. von Théophile Gautier, Clément Pansaers, Jacques Rigaut, André Breton, Pablo Picasso, Pierre Guyotat, Pierre Michon und Antoine Volodine. Er ist mit Sabine Müller verheiratet und lebt in Heidelberg. Bis 2017 war er Präsident des Rats der Europäischen Literaturübersetzerverbände CEATL.
Sabine Müller, geb. 1959 in Lauffen am Neckar, übersetzt seit 25 Jahre aus dem Englischen und mit Holger Fock aus dem Französischen u.a. Werke von Patrick Deville, Mathias Enard, Philippe Grimbert, Pierre Loti, Alain Mabanckou, Andreï Makine, Erik Orsenna, Pascal Quignard, Jean Rolin, Olivier Rolin und Cécile Wajsbrot. Quelle
Bibliographische Daten (Stand Mai 2023 – Hanser Literaturverlage)
- TITEL: Die geheimste Erinnerung der Menschen
- Autor: Mohamed Mbougar Sarr
- ÜBERSETZUNG: Holger Fock und Sabine Müller
- GENRE: Roman
- VERLAG: Hanser Literaturverlage
- UMFANG: 448 Seiten
- ERSCHEINUNGSDATUM: 24. November 2022
- ISBN-13: 978 3 4462 7411 2
Ein weiteres Buch in meinem Blog, das mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet wurde, ist Wir sehen uns dort oben von Pierre Lemaitre.
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