Autor: Andrej Kurkow
Übersetzung aus dem Russischen: Johanna Marx und Sabine Grebing
Buchbeschreibung kurz & knapp zusammengefasst
Mit seinem Roman „Graue Bienen“ greift Andrej Kurkow das Thema der Leiden der Zivilbevölkerung in der Ostukraine auf. Er beschreibt an Sergejitsch und Paschko den Alltag kleiner Leute, die zwischen die Frontlinie geraten sind. Der Bienenzüchter Sergejitsch repräsentiert im Roman den ukrainischen Bevölkerungsanteil des Donbass, während sein Erzfeind Paschko exemplarisch für die Separatisten steht.
Hauptschauplatz ist ein Dorf im Niemandsland der sogenannten Grauen Zone im Kampfgebiet zwischen der ukrainischen Armee und prorussischen Separatisten im Spätwinter 2016. Bis auf Sergejitsch und Paschko haben alle Einwohner das Dorf aus Angst vor den ständigen Raketenangriffen verlassen.
Weil sie mehr Angst um ihr Leben bekommen hatten als um ihre Besitztümer und von zwei Ängsten die stärkere wählten.
Nun stehen Häuser leer, die Kirche ist zerbombt und Strom gibt es erst in der benachbarten Ortschaft. Die tägliche Bedrohung durch die Kriegshandlungen und die Mühsal, das eigene Überleben zu organisieren, zwingen die beiden „Feindfreunde“ zu nachbarlicher Hilfe und bringen sie einander näher.
In den Stillstand der ersten Romanhälfte kommt schließlich Bewegung, als Sergejitsch im Frühling seine sechs Bienenstöcke auf den Anhänger seines Schiguli hievt und sich durch alle Checkpoints nach Westen durchwindet, um seine Bienen dorthin zu bringen wo Ruhe und Frieden herrscht. Hier sollen sie frei fliegen und ihren Honig sammeln können. Damit beginnt der 2. Teil des Romans, der die Züge eines Reiseromans annimmt. Doch egal wohin Sergejitsch fährt, der Krieg verfolgt ihn und verschont ihn weder vor Demütigungen durch russische Kontrolleure noch vor Bewohnern der anderen ukrainischen Regionen.
Aber der Ofen und das Haus waren weit weg und wurden von Paschka beaufsichtigt, und bei diesem Gedanken vertrieben die Lichter von Albat trotzt allem die Traurigkeit und gaben ihm die ruhige Freude wieder, die das Leben ins Gleichgewicht brachte und die Illusion schuf, eben die Ruhe sei das Glück!
Meine persönlichen Leseeindrücke
Ich möchte „Graue Bienen“ einen klassischen Roman benennen. Gerade weil Andrej Kurkow keine neuen Techniken in der Zeit- und Redegestaltung erprobt, ist dieser Roman imstande, die komplexe und oberflächlich nicht leicht durchschaubare Wirklichkeit in sich aufzunehmen. Das erinnert mich ein wenig an die großen Klassiker der russischen Literatur. Kurkow aber ersetzt die Tragik durch eine zeitgemäße Darstellung der Handlung und nimmt ihr so etwas an der schweren Wehmut.
Sergejitsch ist ein komischer, einfältiger Kauz. Entschlossen sein Heimatdorf nicht zu verlassen, nimmt er die Einsamkeit in Kauf und ein Dasein, das wir im westlichen Europa als menschenunwürdig bezeichnen würden. Nur die Sorge um seine Bienen veranlasst ihn, die graue Zone zu verlassen und sich auf eine Reise zu begeben. Wie ein Vagabund lebt er in prekären Umständen. Doch scheint sein innerer Frieden stark zu sein und weder äußere noch innere Umstände bringen ihn von seinem Vorhaben ab. Dabei behält er stets sein Herz auf dem rechten Fleck, auch wenn ihn des Öfteren die Angst überkommt. Ob das für die Ostukraine ein typisches Verhaltensmuster ist, entzieht sich meinen Kenntnissen.
Das Buch wird vor allem für seine politisch versteckte Meinung gelobt. Die Bienen in ihren Stöcken seien als Gegenmodell eines wohlgeordneten und produktiven Staatswesens erkennbar und würden zu dem unproduktiven und gewalttätigen Chaos der ostukrainischen Gesellschaft einen Vergleich darstellen. Das habe ich während der Lektüre nicht erkannt. Für mich trat viel mehr die Völkervielfalt der Ukraine in den Vordergrund und die Tatsache, dass jeder, der seine Heimatregion verlässt, in der Ferne als Fremder / Eindringling angesehen und argwöhnisch beäugt wird, ganz besonders in Kriegszeiten.
Er dachte darüber nach, dass die Menschen gerade von den Bienen lernen könnten, wie man Ordnung aufrechterhielt. Bloß hatten die Bienen dank ihrer Ordnung und Arbeit in ihren Bienenstöcken den Kommunismus aufgebaut. Die Ameisen hatten einen echten, natürlichen Sozialismus erreicht, weil sie nicht produzierten, sondern nur gelernt hatten, Ordnung und Gleichheit zu wahren. Und die Menschen?
Fazit
Mit seinem Roman „Graue Bienen“ greift Andrej Kurkow das Thema der Leiden der Zivilbevölkerung in der Ostukraine auf. Er beschreibt an Sergejitsch und Paschko den Alltag kleiner Leute, die zwischen die Frontlinie geraten sind. Nur für das Wohl der Bienen begibt er sich auf eine Reise aus der grauen Zone auf der Suche nach vermeintlichen Frieden und Ruhe.

Der Mensch zeigt sich doch nicht nur in seinem Gesicht, sondern auch in der Stimme oder wenigstens im betrunkenen Singen!
Der Autor
Andrej Kurkow, Jahrgang 1961, ist ein äußerst produktiver ukrainischer Autor mit Wohnsitz in Kiew. Obwohl er zur russischsprachigen Bevölkerung der Ukraine zählt und seine Romane auf Russisch schreibt, ist er ein hartnäckiger Kritiker von Wladimir Putins Ukraine-Politik. Er wirft ihm vor, in der Ostukraine, in den abgespaltenen Gebieten Lugansk und Donezk, einen latenten Bürgerkrieg zu schüren, um das Land zu destabilisieren.
Mit seinem jüngsten Roman „Graue Bienen“ begibt sich Kurkow auf politisch brisantes Terrain: Sein Thema sind die Leiden der Zivilbevölkerung in der Ostukraine, auf deren Rücken der Konflikt ausgetragen wird. Mit großer Anschaulichkeit und Detailgenauigkeit erzählt der Autor vom mühsamen und lebensgefährlichen Alltag kleiner Leute, die das Pech haben, im umkämpften Grenzgebiet zu Donezk zu leben und so zwischen die Frontlinien geraten zu sein. Quelle: Deutschlandfunk
Bibliographische Daten (Stand Juli 2022 – Diogenes Verlag)
- TITEL: Graue Bienen
- AUTOR: Andrej Kurkow
- ÜBERSETZUNG: Sabine Grebing und Johanna Marx
- GENRE: Roman
- VERLAG: Diogenes Verlag
- ERSCHEINUNGSDATUM: 24. Februar 2021 Taschenbuch
- UMFANG: 448 Seiten
- ISBN-13: 978 32572 4554 7
Zur Ukraine erscheinen seit dem russischen Einmarsch im Frühjahr 2022 auf dem deutschen Büchermarkt viel Literatur. Ich habe zwar Nastjas Tränen von Natascha Wodin gelesen, empfand die darin geschilderten Umstände unglaubwürdig und kann ihn deshalb nicht empfehlen.
Ein wunderbares Buch und eine bewegende, anrührende und erschütternde Erzählung über menschliche Schicksale, als Teil der österreichisch-russischen Geschichte des letzten Jahrhunderts, ist Junischnee von Ljuba Arnautovic.
Ein weiteres wunderbares, aktuelles und sehr persönliches Buch über die Ukraine ist Rote Sirenen von Victoria Belim.
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